Sonderfall: Grober Behandlungsfehler
Die eigentliche Besonderheit des groben Behandlungsfehlers liegt in der Beweislastumkehr. Während bei einem einfachen Behandlungsfehler der Patient die Beweislast trägt, muss bei der Beweislastumkehr der Arzt darlegen, dass ein Fehler nicht ursächlich für den Gesundheitsschaden des Patienten war. Gelingt also der Nachweis eines groben Behandlungsfehlers, geht die Beweislast auf den behandelnden Arzt über.
Zur Einordnung und Feststellung des Fehlers benötigt das Gericht ein medizinisches Sachverständigengutachten. Dieses Gutachten stellt ein Fehlverhalten des Arztes fest, das aus objektiver Sicht nicht logisch erklärbar ist. Der Arzt hat gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und den Stand der medizinischen Wissenschaft verstoßen. Er ist für den Fehler verantwortlich. Weiterhin ist zu klären, ob es sich bei dem beschuldigten Arzt um einen Facharzt in einer Fachklinik oder um einen niedergelassenen Arzt handelt. Für Letztere gelten andere Maßstäbe als für Klinikärzte.
Praxisbeispiele für grobe Behandlungsfehler
Rechtlich ist der grobe Behandlungsfehler günstiger. Die Beweislast kehrt sich um. Der Schädiger muss beweisen, dass der eingetretene Schaden nicht mit der Behandlung und dem Fehler zusammenhängt.
Wird beispielsweise ein Röntgenbild falsch interpretiert und ein Knochenbruch nicht erkannt oder ein Tumor übersehen, kann dies zu hohen Schadensersatzforderungen führen. Denn die Spätfolgen sind verheerend.
Kommt ein Patient mit Schwindel, starken Kopfschmerzen, Sprachstörungen und Übelkeit in die Notaufnahme und wird nach kurzer Anamnese abgewiesen, liegt ein grober Behandlungsfehler vor. Hat der behandelnde Arzt diesen Patienten als Migränepatienten eingestuft und den vorliegenden Schlaganfall nicht oder zu spät erkannt und den Patienten zu spät verlegt, sind alle Voraussetzungen für einen groben Behandlungsfehler gegeben.
Ein grober Behandlungsfehler liegt in jedem Fall vor, wenn bei einer Operation Instrumente im Bauchraum zurückgelassen werden. In diesem Fall hat keine ordnungsgemäße Zielkontrolle stattgefunden. Häufig leiden die Patienten monate- oder jahrelang unter starken Schmerzen, bis die Überreste nach der Operation auf einem Röntgenbild entdeckt werden. In diesen Beispielen haben die behandelnden Ärzte die rote Linie, die red flags, deutlich überschritten und gegen ihr medizinisches Grundverständnis gehandelt.
Wie verhalte ich mich bei einem groben Behandlungsfehler?
Zunächst gibt es kostenlose Möglichkeiten, bei Verdacht auf einen groben Behandlungsfehler vorzugehen. Sie können sich zum Beispiel an Ihre gesetzliche Krankenkasse wenden. Ein weiterer Weg kann über die Schlichtungsstelle oder die Gutachterkommission der Landesärztekammer führen. Letzteres gilt als sehr bequem, kann aber auch einen Haken haben. Denn die Landesärztekammer ist eine Institution der Ärzteschaft. Ob hier eine Unparteilichkeit unbedingt gegeben ist, bleibt fraglich.
Ebenso fatal kann es sein, sich an das Krankenhaus oder den behandelnden Arzt zu wenden. Diese handeln in den seltensten Fällen objektiv. Auch wenn der Weg lang erscheint, ist der Experte oder Anwalt für Medizinrecht der richtige Ansprechpartner. Denn diese haben sich auf Arzthaftung spezialisiert und vertreten Geschädigte bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. In einem ersten Beratungsgespräch kann geklärt werden, ob überhaupt ein grober Behandlungsfehler vorliegt und welche Erfolgsaussichten hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bestehen.